Ein Tag und die Unendlichkeit
Eine Eintagsfliege summte glückselig um die Krone eines alten Baums. Den Tag genießend(,) schwebte sie unermüdlich in der Luft. Als sie so freudetrunken um den Baum tänzelte, sagte dieser, dass das Leben der Fliege ungemein traurig sei. Nur einen Tag würde ihr ganzes Leben währen. Wie abscheulich das Schicksal doch sein könne. Die Fliege fragte, was so traurig sei. Sie genieße schließlich diesen herrlichen Tag in seiner ganzen Prächtigkeit. Der Baum gab zu bedenken, dass dies nur für einen Tag so sei, dann wäre alles vorbei. Die Fliege wollte wissen, was vorbei sei und ob der Baum ebenso vorbei sei. Doch der Baum entgegnete, dass er viele tausend Tage leben würde, seine Tage sogar ganze Jahreszeiten seien. Das sei so viel, dass es das fliegende Geschöpf nicht einmal ausrechnen könne. Die Fliege erklärte, dass sie nicht tausend Tage, aber tausend Augenblicke habe. Ob denn die Welt ihre Herrlichkeit verlieren würde, wenn der Baum sterben würde. Der Baum verneinte dies, denn die Welt würde um ein Unendliches länger fortwähren, als er denken könnte. Da meinte die Fliege vergnügt: "Dann haben wir doch genauso viel, nur dass wir verschieden rechnen!"
(Frei nach dem Märchen "Die Eintagsfliege" von Hans Christian Andersen)