Der einfache Bogen
Voller Stolz betrachtete ein Mann seinen Bogen, der ihm beim Jagen stets große Dienste erwiesen hatte. Er schoss besonders weit und die Pfeile flogen gerade und mit selten gesehener Schnelligkeit. Beim Betrachten seines geliebten Bogens fiel ihm jedoch etwas Unschönes auf. Das Jagdwerkzeug sah sehr einfach aus. Das einzige Ansehnliche war die Glätte des Holzes. Dagegen war aber leicht etwas zu machen. Der Mann suchte den besten Künstler des Landes und ließ ihn fantastische Bilder in den Bogen schnitzen. Eine ganze Jagdszene war am Ende in den Bogen geschnitzt und verschlug dem Betrachter mit ihrer Schönheit die Sprache. Nichts Einfaches war mehr an dem Bogen. Zufrieden, dass sein Bogen nun ein angemessenes Äußeres besaß, ging der Mann eines Morgens auf die Jagd. Er legte gekonnt auf ein Reh an, doch beim Spannen des Bogens geschah das Unfassbare: Der Bogen zerbrach. All die hübschen Verzierungen hatten den Bogen letztlich nutzlos gemacht.
(Frei nach der Fabel "Der Besitzer des Bogens" von Lessing)